Volleskalation im Thüringer Landtag, Sitzung abgebrochen!
Knapp vier Wochen nach der Landtagswahl, bei der die AfD stärkste Kraft wurde (32,8 Prozent), entbrannte ein dramatischer Kampf um das Amt des Landtagspräsidenten. Die AfD beansprucht das Amt für sich – CDU, BSW und Co. wollten das verhindern und einen anderen Kandidaten wählen.
Die AfD um den Thüringer Rechtsextremisten Björn Höcke (52) spricht von „Taschenspielertricks“ der „Kartellparteien“, die anderen Parteien von „Demokratieverachtung“ der AfD. Die CDU hat das Landesverfassungsgericht eingeschaltet.
▶︎ Wer hat recht? Und worum geht es wirklich?
Nach parlamentarischer Tradition und Geschäftsordnung des Landtags hat die AfD als stärkste Fraktion im 1. Wahlgang das Exklusiv-Recht, einen Kandidaten aufzustellen. Kriegt ein Kandidat bei zwei Wahlgängen keine Mehrheit, könnten ab dem 3. Wahlgang andere Parteien ihre Kandidaten ins Rennen schicken.
ABER: Die anderen Parteien hatten Angst, dass der AfD-Alterspräsident die Kandidaten schlicht nicht zulassen würde. Auch nicht ab dem 3. Wahlgang. Er könnte endlos nur AfD-Kandidaten zulassen und damit eine Hängepartie auslösen. Deshalb wollten CDU und BSW die Geschäftsordnung ändern, BEVOR es zur Wahl kommt.
Und tatsächlich!
Der Alterspräsident des Landtags, AfD-Mann Jürgen Treutler (73) leitete die Sitzung. Und unterstützte ausschließlich die Rechtsauffassung der AfD. Er ließ bereits die Abstimmung über eine Änderung der Wahlregeln nicht zu. Sein Auftritt war so undemokratisch, dass ihm selbst der Landtagsdirektor auf offener Bühne rechtswidriges Verhalten bescheinigte.
AfD-Treutler führte sich auf, als wäre er selbst Landtagspräsident. Parteiisch, ohne Befugnisse erteilte er Ordnungsrufe und drohte, Mikrofone der anderen Parteien abzustellen. Er unterbrach die Sitzung siebenmal. CDU-Mann Andreas Bühl (37) platzte der Kragen, beschimpfte den AfD-Mann: „Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung!“
▶︎ Ist es wirklich UNDEMOKRATISCH, was CDU und Co. versuchten? Oder geriert sich die AfD künstlich als Opfer?
Undemokratisch? Nein!
Fakt ist: Es ist Tradition, aber keine Pflicht, dass die stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten stellt. Der Landtagspräsident muss demokratisch von der Mehrheit der Abgeordneten gewählt sein – und die AfD hat diese Mehrheit nicht. Die anderen Parteien wollten der AfD kein Amt wegnehmen, sondern einen anderen Kandidaten nominieren, der ebenfalls eine Mehrheit bräuchte, um gewählt zu werden.
Was auch stimmt: Es war seit Monaten klar, dass es zu diesem Chaos kommen würde. Dennoch hat es die rot-rot-grüne Minderheitsregierung nicht geschafft, rechtzeitig Klarheit zu schaffen, wie die Wahl eines Landtagspräsidenten abzulaufen hat – nämlich so, dass der Alterspräsident nicht willkürlich entscheiden kann, wer zugelassen wird. Doch die CDU stellte sich quer, die Unklarheit blieb.
Das Resultat: Durch das Zeitspiel von Treutler konnte Höckes AfD ihr perfides Theater aufführen und ihre Opferstory befeuern, dass die anderen Parteien angeblich den Wählerwillen ignorierten.
Warum macht Höcke das?
Der Stuhl des Landtagspräsidenten ist der letzte Strohhalm für die AfD, die Macht im Parlament an sich zu reißen. Björn Höcke (52) ist zwar Wahlsieger, doch er hat keine Chance, Ministerpräsident zu werden – weil keine andere Partei mit der AfD koalieren will. Deshalb will er der AfD das Amt des Landtagspräsidenten sichern. Mit der Kandidatin Wiebke Muhsal (38).
Diese hätte als Landtagspräsidentin zwar vorrangig repräsentative Aufgaben, wäre aber dennoch eine Schatten-Regentin von Höcke und würde alle Sitzungen im Parlament leiten.
Politik-Professor Oliver Lembcke (Uni Bochum, früher Uni Jena) sieht noch mehr Machtspielraum für die AfD. Er sagt zu BILD: „Für Höcke ist das Amt des Landtagspräsidenten so wichtig, weil es immer dann Macht bringt, wenn es zu außergewöhnlichen Situationen kommt. Zum Beispiel bei der Wahl des Ministerpräsidenten oder bei der Auflösung des Parlaments.“
AfD will „Parteien als vermeintliche Regelbrecher vorführen“
Am Donnerstag hat die AfD die Macht bereits voll ausgespielt. Lembcke weiter: „Die erste Sitzung hat gezeigt, dass die Leitung des Parlaments der AfD ermöglicht, die Regeln von Verfahrensrecht, Geschäfts- bzw. Tagesordnungen zu missbrauchen, um andere Parteien als vermeintliche Regelbrecher vorzuführen. Mit dem Präsidenten hätte man sozusagen den Zeremonienmeister, um aus jeder Sitzung ein Theater zu machen.“
Außerdem gehe es Höcke darum, den Eindruck zu erwecken, dass man die einzige Partei ist, die sich an die Regeln hält.
Wird die Thüringer Politik jetzt brutal schwierig? Lembcke: „Die AfD hat den Verantwortungstest verbockt. Dass sie die parlamentarische Reife besitzt, um ernsthaft Veränderungen herbeizuführen, ist nach dem heutigen Tag Wunschdenken. Trotzdem kommt man an ihr nicht vorbei, weil sie ein Drittel der Wählerschaft hinter sich hat.“